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Stöhrer in der Sammlung DEILMANN
Die Psyche ist der zentrale Impuls in Walter Stöhrers Arbeiten. Mit kraftvollen Linien und reduzierten Kompositionen visualisiert er das Unbewusste und die inneren Konflikte des Menschen. Seine abstrakten Werke schaffen eine intensive Spannung zwischen Raum und Abwesenheit, die den Betrachter dazu anregt, emotionale und psychische Tiefen zu erfassen und zu reflektieren.
Anna Deilmann, Kuratorin der Sammlung DEILMANN

Walter Stöhrer 1978
Walter Stöhrer entfaltete seine künstlerische Vision jenseits etablierter Strömungen und prägt die deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts auf einzigartige Weise. Aufgewachsen im Schwarzwald, fand er früh seine Leidenschaft für die Malerei und ließ sich von der freien Geste des abstrakten Expressionismus inspirieren. Während seiner Ausbildung an der Kunstakademie Karlsruhe und später in Berlin formte sich sein unverwechselbarer Stil, der sich weder von der Pop Art noch von der Konzeptkunst beeinflussen ließ. Stattdessen verschmolzen in seinen großformatigen Werken lebendige Grundfarben wie Rot, Blau und Gelb mit Versatzstücken der realen Welt, die er zu einem geheimnisvollen visuell-chiffrierten Dialog formte.
Seine Bilder, die an die spontanen Kritzeleien der COBRA-Künstler und an die Visionen der Art brut erinnern, gehen weit über die bloße Abstraktion hinaus. Sie sind tief in literarischen Auseinandersetzungen verwurzelt, inspiriert von Autoren wie Antonin Artaud und Unica Zürn. Stöhrer befasste sich intensiv mit den surrealistischen Techniken, doch seine Werke tragen eine eigene Handschrift: Sie sind impulsiv, aber nie chaotisch – eine ständige Balance zwischen Struktur und freier Entfaltung. Daneben ist sein umfangreiches Werk der Radierung zu nennen, das ebenso bedeutend wie seine Malerei ist. Trotz seines Einflusses blieb Stöhrers Kunst einzigartig, reflektierte nicht nur die Zeit, sondern hinterfragte immer wieder die Grenzen von Form und Inhalt.
Stöhrer taucht tief in die menschliche Psyche ein, indem er das Unsichtbare sichtbar macht. Seine Werke sind nicht bloße Darstellungen von Form und Farbe, sondern Entwürfe der inneren Welt, die sich als greifbare Entitäten manifestieren. Mit kräftigen Pinselstrichen und präzisen Radierungen gibt er den unbewussten Kämpfen, den Ängsten und den Sehnsüchten eine physische Existenz. Seine Gemälde wirken wie Fenster in die Tiefen des menschlichen Geistes, wo emotionale Turbulenzen und innere Konflikte in dynamische, fast fühlbare Strukturen überführt werden. Es ist, als ob er die unsichtbaren Prozesse des Denkens und Fühlens auf die Leinwand projiziert und dem Betrachter einen direkten Zugang zu einem seelischen Universum gewährt.
Vom Inneren nach außen
In Stöhrers reduzierten Kompositionen wird der Raum selbst zur treibenden Kraft seiner Werke. Mit fast leeren Flächen und minimaler Detailfülle lässt er die Abwesenheit von Form zur präsentesten Entität werden. Doch gerade in dieser Leere entsteht eine subtile Spannung – ein Dialog zwischen dem, was da ist, und dem, was fehlt. Der Betrachter wird eingeladen, den Raum nicht als leeren Bereich, sondern als aktiven Teil des künstlerischen Geschehens zu erleben, der Fragen zur Bedeutung von Abwesenheit und der Wahrnehmung von Raum aufwirft. In der Reduktion liegt die Kraft, die die Vorstellungskraft herausfordert und die Wahrnehmung vertieft.
Dialog mit der Leere
Mit seinen kraftvollen, abstrahierten Formen erschafft Stöhrer eine visuelle Poesie, die über das Sichtbare hinausgeht. In seinen Gemälden und Radierungen entzieht er sich der traditionellen Formensprache und öffnet stattdessen einen Raum, in dem Emotionen und Assoziationen in den Vordergrund treten. Jeder Pinselstrich, jede Linie erzählt eine Geschichte, die im Betrachter persönliche Eindrücke und tiefgreifende Reflexionen hervorrufen kann. Es ist eine Einladung, das Unaussprechliche greifbar zu machen – eine poetische Erkundung der abstrakten Malerei, die sowohl visuell als auch emotional fesselt.
Poesie der Abstraktion
•1962: Ölbilder, Galerie Schüler, Berlin
•1965: Walter Stöhrer, Galerie nächst St. Stephan, Wien
•1976: Walter Stöhrer, Galerie Georg Nothelfer, Berlin
•1983: Walter Stöhrer. Arbeiten 1962–1983, Kunsthalle Bremen, Bremen
1984: auch Kunstmuseum Düsseldorf, Düsseldorf und Saarlandmuseum, Saarbrücken; Galerie Georg Nothelfer, Berlin
•1989: Bilder 1961 bis 1988, Berlinische Galerie im Martin-Gropius-Bau
•1990: Malerei auf Bütten, Galerie Roswitha Haftmann Modern Art, Zürich
Neue Bilder, Kunsthalle zu Kiel und Schleswig-Holsteinischer Kunstverein
•1993: Walter Stöhrer. Neue Arbeiten, Galerie Georg Nothelfer, Berlin
•1994: Frühe Radierungen, Kunsthalle Bremen, Bremen
•1995: Werke auf Papier, Galerie Roswitha Haftmann Modern Art, Zürich
Werke auf Papier 1959–1995, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe
•1995: Malerei, Galerie der Stadt Stuttgart
•1998: Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloß Gottorf
Kunstverein Hannover, Hannover
•1999: Malerei – Bilder auf Texten, Spendhaus, Reutlingen
•2000: Maleri/Malerei, Sønderjyllands Kunstmuseum, Tønder, Dänemark
•2002: Ich schreie in meinem Kopf – Bilder aus dem Nachlass, Bielefelder Kunstverein, Bielefeld
•2005: Radierung und Bild, Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart
•2006: Vita Nova. Neun Gemälde aus den 1990er Jahren, Sprengel-Museum, Hannover
•2007: Bilder – Zwischen Hand, Herz, Kopf und Bauch, Ulmer Museum, Ulm
•2008: Larvenhafte Bilder – Radierungen von Walter Stöhrer, Kunsthalle Bremen, Bremen
•2010: Walter Stöhrer – Kraftfelder, Retrospektive, Museum Küppersmühle, Duisburg
•2016: Walter Stöhrer – Black Man, Museum Wiesbaden, Wiesbaden
•2019: Walter Stöhrer. Intrapsychischer Realismus, Galerie Georg Nothelfer
Ausstellungen
•1962: Deutscher Kunstpreis der Jugend, Stuttgart
•1964: Deutscher Kritikerpreis für den Bereich Bildende Kunst
•1971: Will-Grohmann-Preis der Akademie der Künste, Berlin
•1976: Kunstpreis Berlin, Berlin
•1977: Villa-Romana-Preis, Florenz
•1980: Kunstpreis der Böttcherstraße in Bremen
•1982: Kunstpreis der Stadt Nordhorn
•1995: Hans-Molfenter-Preis, Stuttgart
•1999: Jerg-Ratgeb-Preis, Reutlingen
•2000: Kunstpreis der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft, Schleswig
Auszeichnungen
Die Linie wird bei Stöhrer zum lebendigen Organismus, der ständig seine Form verändert und sich neu definiert. In seinen Arbeiten überschreiten die markanten Linien die Grenzen der Leinwand, fließen in den Raum und ziehen den Betrachter in ein visuelles Spiel von Flächen und Tiefen. Was auf den ersten Blick als klare Struktur erscheint, entpuppt sich als ein sich stetig wandelnder Prozess, der die konventionellen Vorstellungen von Malerei und Skulptur herausfordert. In seiner unaufhörlichen Transformation schafft er Werke, die sich nicht nur in der Fläche entfalten, sondern auch im Raum, und so eine neue Dimension der Abstraktion eröffnen. Die Linien, die bei ihm so dominant und kraftvoll wirken, verschwimmen und verlieren ihre Definition, um neue, vieldeutige Formen zu bilden – ein fortwährender Dialog zwischen Festem und Fließendem.
Transformation der Linie
Walter Stöhrer
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